Strafbarkeitsrisiko für Ärzte – Vorwurf Fahrlässige Tötung

Die medizinische Behandlung von Patienten ist von Natur aus eine risikobehaftete berufliche Tätigkeit, bei der es gelegentlich auch zu Todesfällen kommen kann. In solchen Fällen kann der Arzt unter Umständen im Verdacht stehen, durch Fahrlässigkeit den Tod des Patienten verursacht zu haben.

Unterläuft dem Arzt ein Behandlungsfehler oder begeht er eine sonstige Pflichtverletzung, sieht er sich einem erhöhten Strafverfolgungsrisiko ausgesetzt. In diesen Fällen droht ein Ermittlungsverfahren gegen den Arzt wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung. Da es keinen medizinstrafrechtlichen Sondertatbestand gibt, droht bei Versterben des Patienten eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) und somit eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe.

Eine weitere gravierende berufsrechtliche Folge kann der Verlust der Approbation sein. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Voraussetzungen einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung im Kontext des Medizinstrafrechts zusammen und zeigt auf, an welchen Stellen die Grenzen strafbaren Verhaltens nicht immer eindeutig abzustecken sind.

I. Tod eines Menschen

Die Strafbarkeit eines Arztes wegen fahrlässiger Tötung setzt zunächst den Tod eines Menschen voraus. Da der strafrechtliche Begriff des Menschen lediglich die Zeitspanne vom Beginn der Geburt, konkreter: dem Einsetzen der Eröffnungswehen oder der Eröffnung des Uterus (Safferling, in: Matt/Renzikowski, 2. Aufl. 2020, StGB, § 212 Rn. 8-10), bis zum Hirntod (Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 212 Rn. 14) umfasst, fällt die Tötung der Leibesfrucht im Mutterleib beispielweise nicht unter den Tatbestand des § 222 StGB. Bei der vorsätzlichen Tötung der Leibesfrucht finden die Vorschriften über Schwangerschaftsabbrüche, §§ 218 ff. StGB, Anwendung. Maßgeblich für die Abgrenzung ist der Zeitpunkt der Einwirkung und nicht der Todeszeitpunkt.  Fahrlässige Pflichtverletzungen des Arztes vor der Geburt, die postnatal zum Tod führen sind somit straflos, eine Strafbarkeit wegen fahrlässigen Schwangerschaftsabbruchs gibt es nicht (Ulsenheimer in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts,
5. Aufl. 2019, § 150 Rn. 3).  

Für eine Strafbarkeit des Arztes wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB ist es zudem erforderlich, dass der Arzt durch seine Handlung den Tod des Patienten kausal verursacht hat. Entscheidend ist, dass die vom Arzt geschaffene Gefahr, die sich im Tod des Patienten niedergeschlagen hat, bei Sorgfaltspflicht gemäßem Verhalten nicht geschaffen worden hätte (Hardtung, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, StGB § 222 Rn. 76). Die Bestimmung des rechtmäßen Alternativverhaltens, also der standardgemäßen Behandlung, kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten (Hardtung, in: MüKoStGB, StGB § 222 Rn. 80).

Das soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Im Falle eines Arztes, der mangels vorherigen Abtastens der Leistengegend versehentlich die falsche Seite (ohne Leistenbruch) operierte und das Baby an der Narkose der dadurch notwendigen zweiten Operation der richtigen Leiste verstarb, wird deutlich, wie die hypothetische Prüfung des rechtmäßigen Alternativverhaltens durchzuführen ist: Hätte sich der Arzt den Pflichten aus dem Behandlungsvertrag entsprechend verhalten, das bedeutet in diesem Fall: vor der Operation den Bauch des Säuglings abgetastet, hätte er festgestellt, dass sich der Leistenbruch auf der linken Seite befindet und nicht die Operation an der rechten Seite durchgeführt. Der Leistenbruch wäre unter der ersten Narkose operiert worden und die zweite Operation nicht erforderlich gewesen. So wäre dem Säugling die Belastung durch die erneute Narkose und somit der Tod erspart geblieben (BGH (3. Strafsenat), Urteil vom 12.11.1986 – 3 StR 260/86.).

II. Medizinische Sorgfaltspflichtverletzung

1. Behandlungsfehler

Kern des strafrechtlichen Vorwurfs der Fahrlässigkeit ist die Verletzung einer objektiven Sorgfaltspflicht. Eine Sorgfaltspflicht ergibt sich im medizinischen Bereich aus dem sogenannten „Facharzt-Standard“, § 630a Abs. 2 BGB. Dieser umfasst alles, was nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft als sachgemäß gilt. Entscheidend ist der Stand der Medizin zum Zeitpunkt des Eingriffs (ex-ante-Perspektive) (Kraatz Arztstrafrecht, 3. Aufl. 2023, Rn. 130 ff.).  

Da Ärzten grundsätzlich eine Therapiefreiheit, d.h. die Freiheit, diagnostische oder therapeutische Verfahren auszuwählen (Kern in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 3 Rn. 22), zusteht wird ein Behandlungsfehler nicht bei jedem Abweichen von den „Kunstregeln“ angenommen. Die Bewertung der Grenzen ist oft schwierig und hängt vom Einzelfall ab. Deshalb wird vor Gericht hierzu auch regelmäßig ein medizinischer Sachverständiger befragt. Jedenfalls endet die freie Auswahl der Behandlungsmethode wohl dort, wo ein anderes Verfahren nach allgemeiner Ansicht vorzugswürdig ist (BGHZ 102, 17 (24) = NJW 1988, 763 (764 f.)).

2. Diagnosefehler

Diagnosen sind mangels Eindeutigkeit körperlicher Symptome und aufgrund der Verschiedenheit menschlicher Körper jedoch oft unsicher und der Arzt bewegt sich regelmäßig in einem weiten Bewertungsspielraum, so dass Irrtümer keine Seltenheit darstellen. Ein Vorwurf trifft den Arzt dann, wenn Symptome nicht hinreichend berücksichtigt werden, die eindeutig einer bestimmten Erkrankung zuzuordnen sind (BGH NJW 2003, 2827).

Ein Diagnosefehler liegt nur dann vor, wenn alle gebotenen Befunde erhoben wurden, aber daraus die falsche Diagnose entwickelt wurde (Kern in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, 5. Aufl. 2019, § 109 Rn. 20). Sonst liegt möglicherweise ein Befunderhebungsfehler vor.

3. Befunderhebungsfehler

Ein Sorgfaltspflichtverstoß ist auch dann anzunehmen, wenn er der zuständige Arzt es versäumt, medizinisch gebotene Befunde zu erheben, obwohl diese mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Ergebnisse geliefert hätten, die weitere Maßnahmen begründen würden (Kraatz Arztstrafrecht, 3. Aufl. 2023, Rn. 138). Das LG Berlin urteilte im Jahr 2000, dass ein Sorgfaltspflichtverstoß jedenfalls vorliege, wenn es bei Patienten, die das erste Mal vorstellig werden und über Brustschmerzen klagen, unterlassen wird, ein EKG anzufertigen sowie Infarktblutwerte zu bestimmen. Dies dürfe nur unterlassen werden, wenn ein Infarkt bei der gegebenen Differenzialdiagnostik äußerst unwahrscheinlich sei (LG Berlin v. 4. 12. 2000 6 O 385/99).

Eine zu späte Befunderhebung ist der Unterlassenen gleichgestellt (OLG Zweibrücken NJW-RR 2008, 537 = MedR 2008, 363).

4. Organisationsmängel

Aufgrund der vertikalen Arbeitsteilung in Kliniken sind oft mehrere Personen für die Behandlung eines Patienten zuständig. Der Chefarzt delegiert regelmäßig Aufgaben an ihm untergebenes Personal. Grundsätzlich darf er darauf vertrauen, dass das Personal, sofern er es sorgfältig ausgewählt hat, die Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt ausführen wird. Er ist dann jedoch weiterhin für die Instruktion und zumindest stichprobenartige Überwachung des Untergebenen verantwortlich, die sich nach dem jeweiligen Risiko der Behandlung für den Patienten richtet (Kraatz Arztstrafrecht, 3. Aufl. 2023, Rn. 145).

Außerdem muss der Chefarzt (bzw. der in leitender Position befindliche Arzt) grundsätzlich seine Organisation so strukturieren, dass er Aufklärungs- oder Abstimmungsfehler vermeidet. Ein solches Organisationsverschulden wurde angenommen, als wegen ungenügender Organisation eine Patientin nicht ausreichend über das Risikos einer Hepatitis-Infektion durch eine Blut-Transfusion während der Operation aufgeklärt wurde (BGH NJW 1992, 743).

5. Übernahmefahrlässigkeit

Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann auch angenommen werden, wenn ein Arzt es unterlässt, den Patienten an einen anderen fachkundigeren Arzt bzw. Spezialisten zu überweisen, obwohl die Behandlung seine individuellen Fähigkeiten oder seine Expertise übersteigt (Laufs MedR 1986, 163), oder es versäumt, die Patientin in eine andere Klinik zu überweisen, wenn das Krankenhaus nicht über die apparative oder personelle Ausstattung zur standardgemäßen Therapie verfügt (BGH, Urteil vom 30.05.1989 – VI ZR 200/88).

IV. Abgrenzung von positivem Tun und Unterlassen

Wie bei den oben genannten Beispielen schon deutlich wird, kann eine Sorgfaltspflichtverletzung auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden. Dieses von positivem Tun abzugrenzen kann im Einzelfall Probleme bereiten. Auch die üblicherweise verwendete Formel, es sei auf den „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ abzustellen, vermag nur wenig Klarheit zu verschaffen.

Gleichwohl spielt die Unterscheidung für den Betroffenen eine bedeutende Rolle, denn wird ihm „bloß“ ein Unterlassen zur Last gelegt, so kann die Strafe gem. §§ 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden.

Bei einer Hepatitis-Infektion des Patienten während der OP durch den Arzt aufgrund von diesem zuvor unterlassenen Kontrolluntersuchungen wurde der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit auf der Durchführung der Operation, also in dem positiven Tun und nicht dem Unterlassen der Kontrolluntersuchungen gesehen (BGH, NStZ 2003, 657 (658): Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit wurde bei dem aktiven Tun gesehen.).

Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Arzt eine Garantenstellung innehatte. Diese ergibt sich aus der tatsächlichen Übernahme der ärztlichen Behandlung (Bosch, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 13 Rn. 28a) oder aus der Verpflichtung zur Übernahme, wenn der Arzt zum Beispiel im Bereitschaftsdienst ist.

Eine grundsätzliche Verpflichtung zur Übernahme der Behandlung irgendeiner Person in der Öffentlichkeit trifft den Arzt jedoch nicht. Insofern findet lediglich § 323c StGB, unterlassene Hilfeleistung, Anwendung.

V. Verteidigungsansätze

Eine erfolgsversprechende Verteidigungsstrategie ist natürlich für jeden Fall individuell zu entwerfen. Bei den Vorwürfen der fahrlässigen Tötung durch einen Arzt sind im Rahmen der Verteidigungsstrategie erfahrungsgemäß einige Ansätze erfolgsversprechend.

1. Beginn des Ermittlungsverfahrens gegen den Arzt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung

Grundsätzlich ist es ratsam, sobald von einem Ermittlungsverfahren Kenntnis erlangt wurde, eine spezialisierte Kanzlei zu beauftragen. Im nächsten Schritt wird bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Akteneinsicht beantragt. In der Zwischenzeit ist es ratsam, dass der beschuldigte Arzt eigene Aufzeichnungen über den Ablauf macht. Diese sollten die Vorgeschichte des Zwischenfalls, den Gesundheitszustand des Patienten und die bis dahin erfolgte Behandlung erhalten. Weiter soll eine Darstellung der Gesamtsituation einschließlich aller relevanten Zeitpunkte, Zeugen, Medikamente, involvierter Personen und ggf. getroffener Maßnahmen erfolgen. Diese Unterlagen dienen der Verteidigung und gehören nicht in die Patientenakte.

Hilfreich ist es ebenfalls eine Kopie der Krankenakte anzufertigen und diese dem Verteidiger zu übergeben. Die Weitergabe unterfällt nicht der Schweigepflicht, da sie der Verteidigung dient.

2. Die zentrale Rolle des Sachverständigen

Um das Verhalten des Arztes in der jeweiligen Situation zu überprüfen, ist die Einschaltung eines Sachverständigen unerlässlich. Der Sachverständige prüft, ob dem Arzt im Rahmen der Behandlung ein vorwerfbarer Fehler unterlaufen ist. Beispielsweise prüft der Sachverständige, ob die Behandlung Facharztstandards erfüllt oder ob ein vermeintlicher Fehler überhaupt für den Tod des Patienten kausal war.

In der Praxis werden Sachverständige im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft hinzugezogen. Teilweise hat der Verteidiger die Möglichkeit einen Sachverständigen vorzuschlagen, jedoch besteht hierauf kein Rechtsanspruch. Fällt das Sachverständigengutachten zuungunsten des Mandanten aus, muss das Gutachten überprüft werden. Grundsätzlich muss das Gutachten unabhängig und unvoreingenommen erstattet werden. Das ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn der Sachverständige bei der Bearbeitung der Gutachtenerstellung einschlägige Literatur außer Acht lässt oder er den Gutachtenauftrag umformuliert oder er den Patienten vorher selbst behandelt hat.

Teilweise kann das Gutachten durch die Verteidigung überprüft werden. Jedoch ist ein maßgeblicher Verteidigungsansatz in Fällen, in denen das Gutachten für den Mandanten negativ ausfällt, ein eigenes Gutachten einholen zu lassen. Hierbei verfolgen wir immer zwei Ansätze: „Unser“ Sachverständige prüft zunächst, ob das Gutachten, das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben wurde methodisch korrekt ist (sog. methodenkritisches Gutachten). Das bedeutet, dass geprüft wird, ob die zum Tatzeitpunkt geltenden Facharztstandards berücksichtigt wurden, sämtliche einschlägige Literatur genutzt wurde und ob der Sachverständige überhaupt die persönliche Kompetenz zur Gutachtenerstellung hat. Sollte das methodenkritische Gutachten zu dem Ergebnis kommen, dass das Gutachten, das von der Staatsanwaltschaft eingeholt wurde, nicht verwertbar ist, so greift die Verteidigung dieses Gutachten an und lehnt den Sachverständigen ab.

Darüber hinaus erstellt „unser“ Gutachter nunmehr ein umfassendes Gegengutachten, das wir dann ggf. zur Verteidigung nutzen können.

Aufgrund unserer jahrelangen Tätigkeit im Medizinstrafrecht, haben wir mittlerweile ein großes Netzwerk an Sachverständigen, die auf ihrem Gebiet zu den führenden Experten gehören.

3. Außerstrafrechtliche Folgen

Neben einer erheblichen Strafe drohen auch berufsrechtliche Konsequenzen, wie der Widerruf der Approbation. Es ist daher zwingend, dass diese Folgen bei der Verteidigungsstrategie berücksichtigt werden.

Wir verteidigen seit mehr als zehn Jahren Ärztinnen und Ärzte gegen den Vorwurf der fahrlässigen Tötung und wissen, wie man in diesen Fällen erfolgsversprechend verteidigt. Sollten Sie sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, können Sie gerne Kontakt mit uns aufnehmen.