BGH zur Strafbarkeit wegen Betrugs gemäß § 263 StGB beim sog. „AGG-Hopping“ (Beschluss v. 04.05.2022, 1 StR 3/21)

Der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs beschäftigte sich durch Beschluss vom 04.05.2022 (1 StR 3/21) mit dem Phänomen des sog. AGG-Hopping, also mit der Versendung von Scheinbewerbungen auf Stellenangebote, die allein darauf abzielen, Entschädigungen wegen Diskriminierungen nach dem AGG geltend zu machen. Hierzu stellte der BGH klar, dass das bloße Abstellen auf das Versenden außergerichtlicher Forderungsschreiben – ohne ausdrücklich die subjektive Motivation der Bewerbung darzulegen – für die Begründung einer (auch konkludenten) Täuschungshandlung nicht ausreiche. Der BGH hob daraufhin die Verurteilung des Angeklagten in allen zwölf Fällen auf.

Sachverhalt

Der Angeklagte hatte sich zwischen 2011 und 2012 in zwölf Fällen bei Unternehmen auf Stellen beworben, deren Anforderungsprofil er offensichtlich nicht entsprach. Hierbei ging es bspw. darum, dass die Stellenanzeige explizit für Berufsanfänger zugeschnitten wurde. Nach dem Erhalt der Bewerbungsablehnung beauftragte der 42-Jährige Angeklagte seinen Bruder, einen Rechtsanwalt, mit der Geltendmachung von Diskriminierungsentschädigungen wegen Altersdiskriminierung nach dem AGG.

Die betroffenen Unternehmen kamen in keinem der zwölf Fälle den Forderungsschreiben im außergerichtlichen Verfahren nach, sodass der Bruder und zugleich anwaltliche Vertreter des Angeklagten arbeitsgerichtliche Verfahren anstrengte. Zehn Verfahren endeten mit einem Vergleich der Parteien.

Das Landgericht München I verurteilte den Angeklagten wegen (versuchten) Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechzehn Monaten, das zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Richter gingen davon aus, dass lediglich Scheinbewerbungen versendet wurden, um eine Ablehnung zu provozieren und einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG auszulösen.

Außergerichtliche Aufforderungsschreiben per se keine Täuschung

Der BGH rügte, dass das Landgericht fehlerhaft angenommen habe, schon in der außergerichtlichen Geltendmachung durch den Versand von Forderungsschreiben liege die Täuschung der Adressaten über die Ernsthaftigkeit der Bewerbung. Ein konkludenter Rückschluss auf das ernsthafte Interesse der Bewerbung durch den bloßen Versand der außergerichtlichen Forderungsschreiben sei demnach unzulässig.

Weiterhin führte der BGH aus, dass auch das Abstellen auf einen allgemeinen Erwartungsgrundsatz, in dem Sinne, dass der Gegenüber sich stets redlich verhalten werde, nicht für die Annahme einer konkludenten Erklärung tauglich sei. Ein entsprechender Grundsatz sei dem Rechtsverkehr fremd.

Die konkludente Täuschung kann auch nicht auf das prozessuale Wahrheitsgebot nach § 138 Abs. 1 ZPO gestützt werden, weil dieses zwar für alle Verfahrensabschnitte der Zivilprozessordnung gilt, nicht jedoch für die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen.

Fehlender Beleg für Irrtümer auf Arbeitgeberseite

Letztlich gab der erste Strafsenat die Leitlinie vor, dass das erkennende Gericht in jedem Einzelfall festzustellen habe, ob der Arbeitgeber bei Erhalt des Forderungsschreiben davon ausging, dass die vorherige Bewerbung ernsthaft gewesen sei und damit einen Irrtum bei diesem erzeugte. Aufgrund der öffentlichen und auch marktspezifischen Aufmerksamkeit hinsichtlich des Phänomens des AGG-Hoppings sowie seiner persönlichen Erfahrung als Personaler, berichtete ein Zeuge, dass er bereits bei Erhalt der Bewerbung Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser hegte.

Erforderliche Abgrenzung zwischen Vorbereitung oder Versuch eines Betruges

Weiterhin monierte der BGH die fehlerhafte Abgrenzung zwischen der straflosen Vorbereitung einer Straftat sowie einer Versuchsstrafbarkeit. Das Landgericht habe im Rahmen seiner Begründung nicht umfassend dargelegt, ob der Angeklagte bereits mit der Versendung der außergerichtlichen Schreiben subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschritten und damit einen versuchten Betrug begangen habe. Hierfür sei erforderlich, dass die Täuschung aus Sicht des Absenders ohne weitere wesentliche Zwischenschritte in die angestrebte Vermögensverschiebung mündet und diese nicht nur vorbereitet. Gerade aufgrund des öffentlich bekannten Phänomens des AGG-Hopping wäre eine tiefergehende Begründung notwendig gewesen. Zudem sei in keinem der Fälle jemals eine Entschädigungszahlung geleistet worden, sodass die Erfahrung mit fortschreitender Zahl der Fälle eigentlich gegen die Erwartung einer unmittelbaren Vermögensverfügung spreche.

Das Führen arbeitsgerichtlicher Verfahren ist per se keine Täuschung

Ebenso wiesen die Richter darauf hin, dass im Einzelnen anhand der Grenze der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO festzustellen ist, ob das gezeigte Verhalten im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens ausdrückliches oder konkludentes Täuschen darstellt.

In solchen Fällen, in denen die Beklagtenseite (Arbeitgeber) im Prozess den Rechtsmissbrauchseinwand nach § 242 BGB gegen die Geltendmachung der Entschädigungsansprüche erheben, liege eine Täuschung durch eine ausdrückliche Erklärung nur dann vor, wenn der Angeklagte den Einwand explizit bestreitet. Das Absichern des Prozesses durch Verweis auf allgemeine Beweislastregeln reiche in diesen Fällen nicht für die Annahme einer Täuschungshandlung aus.

Eine Täuschungshandlung soll aber vorliegen, wenn der Kläger einen Schriftsatz vorträgt und dabei ausdrücklich darauf verweist, er habe sich subjektiv ernsthaft bewerben wollen.

Folgen für die Praxis

Der BGH hat in erfreulicher Weise die Darstellungsanforderungen zum AGG-Hopping im Rahmen einer Verurteilung wegen Betruges gem. § 263 StGB konkretisiert. Das AGG-Hopping kann mithin eine Strafbarkeit wegen Betruges auslösen, dafür sind aber konkrete Feststellungen zur Täuschungshandlung sowie zum erregten Irrtum notwendig. Ebenso kann das Führen eines arbeitsgerichtlichen Prozesses zur Begründung der Täuschungshandlung herangezogen werden. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls sowie auf das konkrete Prozessverhalten der Beteiligten an.