BGH: Keine Gesamtgeldbuße für Verbände im Kontext zurechenbarer Anknüpfungstaten

Mit Urteil vom 06. März 2024 hat der erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs (1 StR 308/23) zur Reichweite der konkurrenzrechtlichen Bewertung von Anknüpfungstaten für die Verhängung von Verbandsgeldbußen nach § 30 OWiG entschieden und dabei klargestellt, dass wegen jeder rechtlich selbständigen Anknüpfungstat einer Leitungsperson eine gesonderte Geldbuße gegen den dahinterstehenden Verband nach § 30 Abs. 1 OWiG zu verhängen ist.

Sachverhalt

Das Landgericht Saarbrücken hat die Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 17 Fällen bzw. der Beihilfe hierzu in 16 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und vier Monaten bzw. von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der zuletzt genannten Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.

Der Hauptangeklagte war der Geschäftsführer der in diesem Verfahren Nebenbeteiligten, die an zwei Standorten Spielhallen mit Geldspielautomaten betreibt. Die Mitangeklagte, die Ehefrau, führte im Tatzeitraum für die Nebenbeteiligte auf Anweisung des Hauptangeklagten verschiedene Bürotätigkeiten aus. Sie bereitete unter anderem die Steuererklärungen der Gesellschaft vor, indem sie nach Rücksprache mit dem Angeklagten dem Steuerberater die für die Erstellung der Steuererklärungen erforderlichen Unterlagen übermittelte, insbesondere auch sog. Auslesestreifen, die die aufgezeichneten Einspielergebnisse (Umsätze) aus den Geldspielautomaten wiedergaben.

Gegen die Nebenbeteiligte wurde aufgrund der zurechenbaren Anknüpfungstat ihres Geschäftsführers für jeden der 17 festgestellten Fälle eine – in diesem Kontext milde – Geldbuße von 2.000€ (insgesamt 34.000€) festgesetzt.

Gründe

Hinsichtlich der zu verhängenden Verbandsgeldbuße führte der Strafsenat aus, dass sich die konkurrenzrechtliche Bewertung der Straftaten des Angeklagten als Organ der Nebenbeteiligten auf die Anzahl der gegen diese zu verhängenden Geldbußen nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG – und damit zu ihren Gunsten – auswirken könne. Dennoch sei wegen jeder rechtlich selbständigen Anknüpfungstat eine gesonderte Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG zu verhängen.

Gem. § 30 Abs. 1 OWiG kann gegen den Verband eine Geldbuße verhängt werden, wenn eine Leitungsperson eine dem Verband zurechenbare Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht (sog. Verbandsgeldbuße). Das Ordnungswidrigkeitenrecht folgt dem Opportunitätsprinzip, sodass die Verfolgung im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde liegt (vgl. § 47 OWiG).

Nach § 30 Abs. 2 OWiG ist die Verhängung einer Geldbuße bei vorsätzlichen Straftaten in Höhe von bis zu zehn Millionen Euro; bei fahrlässigen Straftaten bis zu einer Höhe von fünf Millionen Euro möglich (sog. Ahndungsteil der Verbandsgeldbuße).

Neben den Ahnungsteil der Verbandsgeldbuße tritt jedoch zusätzlich der nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG vorgesehene Abschöpfungsteil, durch den der dem Verband zugeflossene wirtschaftliche Vorteil abschöpft wird. In der Praxis wird der Abschöpfungsteil genutzt, um die in § 30 Abs. 2 OWiG festgelegten Höchstgrenzen der Verbandsgeldbuße (teilweise sehr deutlich) zu überschreiten. Dieser ist nämlich hinsichtlich seines Höchstmaßes grundsätzlich unbeschränkt.

Als taugliche Bezugstat eines Leitungsorgans kommen nicht nur – wie im hier vorliegenden Sachverhalt – Steuerstraftaten in Betracht. Vielmehr sind alle Straftaten taugliche Anknüpfungstaten, die einen sog. Betriebsbezug aufweisen. Dadurch stellen beispielsweise Umweltstraftaten, allgemeine Straftaten wie der Betrug aber auch lebensmittelrechtliche Ordnungswidrigkeiten eine taugliche Anknüpfungstat dar. Im Rahmen bußgeldbewehrter Datenschutzverstöße kann nach der Rechtsprechung des EuGH die Geldbuße unmittelbar gegen die juristische Person nach Art. 83 DS-GVO verhängt werden. Die Bandbreite des Anwendungsbereichs des § 30 OWiG erstreckt sich insgesamt auf weite Teile des unternehmerischen Handelns.

Durch die vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs dargelegte Notwendigkeit der Verhängung der gesonderten Ahndung jeder rechtlich selbständigen Anknüpfungstat hat sie einer in der Literatur vertretenen Ansicht, die vielmehr die Verhängung einer Gesamt-Verbandsgeldbuße präferiert, nunmehr ausdrücklich die Absage erteilt. Dabei verwies der Strafsenat in seiner Begründung darauf, dass der Wortlaut des § 30 OWiG nicht an die gegen die Leitungsperson zu verhängende Strafe anknüpft, sondern vielmehr an deren Tat bzw. Taten. Mit der Entscheidung unterstrich der BGH zudem die Unterschiede der Sanktionssysteme des StGB, dessen Gesamtstrafen nach dem Asperationsprinzip des § 54 Abs. 1 S. 2 StGB zu bilden sind, sowie die des Ordnungswidrigkeitenrechts, das nach dem Kumulationsprinzip des § 20 OWiG die Verhängung einer „Gesamtgeldbuße“ nicht vorsehe.

Folgen für die Praxis

Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Praxis der gesonderten Verhängung einer Geldbuße für jede selbständige Anknüpfungstat nunmehr ausdrücklich und höchstrichterlich gebilligt. Zwar wurde in dem vorliegenden Sachverhalt der in § 30 Abs. 2 OWiG festgelegte Bußgeldrahmen nicht ausgeschöpft.

Die Praxis zeigt jedoch, dass die Kombination der gesonderten Verhängung von Geldbußen für jede in Betracht kommende Anknüpfungstat sowie die in jeder einzelnen Geldbuße ermöglichte Abschöpfung des durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Vorteils, im Einzelfall erhebliche Eingriffe für die Existenz wirkender Unternehmen haben können.