Mit der bevorstehenden obligatorischen Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) im kommenden Jahr, wird ein neuer Standard für Transparenz im Gesundheitssystem gesetzt. Patienten erhalten erstmals die Möglichkeit, die Abrechnungen ihrer behandelnden Ärzte im Detail nachzuvollziehen. Diese Neuerung könnte ein wesentlicher Schritt sein, um Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen effektiver aufzudecken und die bisher vermutlich hohe Dunkelziffer solcher Vergehen zu senken.
Dieser Beitrag analysiert die Herausforderungen des missbrauchsanfälligen Systems und erläutert die Ursachen für die Verbreitung von Abrechnungsbetrug. Zudem werden die verschiedenen Erscheinungsformen des ärztlichen Abrechnungsbetrugs sowie die rechtlichen Konsequenzen und erfolgsversprechende Verteidigungsansätze beleuchtet. Selbstverständlich ist der Abrechnungsbetrug auch relevant für Psychologen, Tierärzte, Physiotherapeuten, etc.
Relevanz
In der Praxis führt der ärztliche Abrechnungsbetrug jährlich zu Millionenschäden. In den letzten Jahren hat sich der Fokus auf Ärzte erheblich verstärkt. Es wurden zahlreiche Schwerpunktstaatsanwaltschaften gebildet, die ausschließlich Straftaten im Gesundheitswesen verfolgen. Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrug machen hierbei den Großteil der Verfahren aus.
Hintergrund des Anstiegs der Ermittlungsverfahren ist der immer größer werdende Schaden durch die Abschöpfung unrechtmäßig erhaltener Gelder durch Ärzte, die eigentlich für die Patientenversorgung und der Finanzierung der medizinischen Infrastruktur vorgesehen sind. Dies trägt zur Erhöhung der Gesundheitskosten bei.
Darüber hinaus werden die harten Sanktionen mit möglichen Folgeschäden für Patienten begründet. Hier kommen beispielsweise die Ablehnung einer Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund falscher Versicherungsauskünfte in Betracht.
Strafbare Handlung: Täuschung und Irrtumserregung
Bei dem ärztlichen Abrechnungsbetrug werden Honorare von Leistungen durch Ärzte/Ärztinnen und anderen Leistungserbringern (Apotheker, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten etc.) gegenüber Krankenkassen / dem Privatpatienten abgerechnet, die nicht oder nicht in der Art und Weise wie angegeben erbracht worden sind.
Eine betrügerische Honorarabrechnung ist unter Umständen nach § 263 Absatz 1 StGBals Betrugshandlung strafbar. Wer sich wegen Betruges strafbar macht, täuscht einen anderen über Tatsachen und führt dadurch einen Irrtum bei ihm herbei oder erhält diesen aufrecht. Beim ärztlichen Abrechnungsbetrug ist maßgeblich, ob die Krankenkasse / der Privatpatient über das Vorliegen leistungsbezogener Voraussetzungen getäuscht wird. Eine Täuschungshandlung liegt bereits in dem Zusenden der Rechnung an den Privatpatienten oder im Einreichen der Abrechnungsunterlagen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Hierdurch gibt der Arzt nicht nur vor, zur Abrechnung berechtigt zu sein, sondern vielmehr auch die angegebenen Leistungen persönlich gegenüber dem Patienten erbracht zu haben. Ein Irrtum liegt vor, wenn der Sachbearbeiter oder der Patient der Annahme unterliegt, die Abrechnung sei in ihrer Gesamtheit ordnungsgemäß.
Was führt zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen ärztlichen Abrechnungsbetrug?
Grundsätzlich hat ein Kassenpatient als Mitglied der Krankenkasse gegen diese einen Anspruch auf Erhaltung, Wiederherstellung und Besserung seines Gesundheitszustandes (§ 1 Satz 1 SGB V). Die Krankenkassen haben den Versicherten durch Aufklärung, Beratung und Leistungen zu helfen (§ 1 Satz 4 SGB V). Die dafür zur Verfügung stehenden Leistungsarten sind in § 11 SGB V normiert (z. B. Anspruch auf Leistung zur Behandlung einer Krankheit, §§ 11 Nr. 4, 27 bis 52 SGB V).
Über die jeweilige Behandlung wird zwischen dem Kassenpatienten und dem Arzt ein Behandlungsvertrag geschlossen. Der daraus resultierende Honoraranspruch des Arztes richtet sich dabei gegen die Krankenkasse, die mit befreiender Wirkung an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung leistet (§ 85 Absatz 1 SGB V), welche wiederum die Honorare an die in ihrem jeweiligen örtlichen Zuständigkeitsbereich zugelassenen Ärzte auszahlt.
Liegen Auffälligkeiten vor oder Erhält die Krankenkasse Hinweise durch Patienten oder Whistleblower, gehen die Krankenkassen zunächst selbst den Auffälligkeiten nach. Die Krankenkasse kann anhand der Rechnung nicht nachvollziehen, ob die Behandlung tatsächlich in der Weise wie vom Arzt angegeben, erfolgte, weshalb sie auf die Mitwirkung der Beteiligten angewiesen ist, beispielsweise indem der Kassenpatient den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbindet und die Patientenakte einsehen darf. Darüber hinaus wird bei den Patienten angefragt, ob die abgerechneten Leistungen überhaupt erbracht wurden.
Darüber hinaus gibt es mittlerweile KI-gestützte Software, die die Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen nutzen, die Auffälligkeiten präziser ermitteln können, als es früher bei stichprobenartigen Kontrollen der Fall gewesen ist.
Dieser Umstand führt auch zu einer erhöhten Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Ärzte.
Weiterer Anhaltspunkt sind sog. Plausibilitätsprüfungen durch die Kassenärztliche Vereinigungen, in denen der Arzt aufgefordert wird zu Auffälligkeiten Stellung zu nehmen. Solche Prüfungen führen nicht zwangsläufig zu Ermittlungsverfahren. Um das zu vermeiden, empfiehlt es aber bereits bei dieser Prüfung anwaltlichen Rat einzuholen, da Plausibilitätsprüfungen häufig zu Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetrug führen können.
Kreis der Geschädigten
Der oder die Geschädigte eines Abrechnungsbetruges richtet sich nach dem zwischen Krankenkasse und der Kassenärztlichen Vereinigung vorliegendem Finanzierungsmodell (§ 85 Absatz 2, 2c SGB V). Bei Gesamtvergütungsverträgen führt eine betrügerische Abrechnung zu einer Schädigung der anderen Vertragsärzte. Bei Einzelvergütungen sind die Krankenkassen und damit einhergehend der Kreis der Versicherten, die potentiell Geschädigten. Auch ein Privatpatient kann Geschädigter sein (vgl. hierzu Saliger, Matt/Renzikowski StGB, § 263 Rn. 246).
Erscheinungsformen und Vermögensschaden
Um den konkreten Vermögensschaden zu benennen, muss zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen des ärztlichen Abrechnungsbetruges unterschieden werden. Rechtsanwalt Dr. Vincent Burgert hat bereits im Jahr 2012 verschiedene Erscheinungsformen in einem Beitrag veröffentlicht (ZWH 2012, 213 ff.).
1. Abrechnung nicht oder fehlerhaft erbrachter Leistungen
Unproblematisch ist das Vorliegen eines Vermögensschadens bei der fehlerhaften Abrechnung von nicht oder fehlerhaft erbrachten Leistungen (sog. Luftleistungen). Hierbei werden Leistungen abgerechnet, die tatsächlich nicht oder nicht in dem behaupteten Umfang erbracht wurden. Beispielsweise nicht durchgeführte Hausbesuche oder Leistungsabrechnungen für bereits verstorbene Patienten.
Bei einer nach § 263 Absatz 1 StGB grundsätzlich durchzuführenden Gesamtsaldierung steht der Honorarzahlungen bei einer Luftleistung keine ärztliche Gegenleistung gegenüber, die zu einer Kompensation des Schadens führen könnte. Dies gilt auch bei Falschdeklarationen, also Leistungen, die gebührenrechtlich bewusst und unstreitig falsch eingeordnet wurden (z. B. falsche Gebührennummer, überhöhte Pauschalbeträge, falsche höherwertige Leistungsklassifizierung; siehe hierzu Saliger, Matt/Renzikowski StGB, § 263 Rn. 249, 250).
Ein erfolgsversprechender Verteidigungsansatz in diesen Konstellationen liegt darin, den Nachweis des Vorsatzes eines Abrechnungsbetrug anzugreifen. Die Staatsanwaltschaft muss nachweisen, dass der Täter die schadensbegründenden Umstände kannte und in der Annahme gehandelt hat, eine Zahlung in der geltend gemachten Höhe beanspruchen zu können. Die Komplexität und Intransparenz der Abrechnungsprozeduren können nämlich dazu führen, dass Falschabrechnungen unbewusst, also ohne Vorsatz und damit straflos erfolgten.
2. Verstoß gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung
Grundsätzlich unterliegt der Arzt aus dem Behandlungsvertrag der Pflicht der persönlichen Leistungserbringung (§§ 613 BGB, 15 Absatz 1 SGB V, § 32 Ärzte-ZV). Liegt kein Fall einer zulässigen Vertretung oder Delegation vor, ist ein Verstoß gegen diese Pflicht anzunehmen.
Nach dem Sozialversicherungsrecht gilt eine strenge formale Betrachtungsweise, nach der eine Leistung nicht erstattungsfähig ist, wenn sie nicht den Anforderungen entspricht (BGH, NJW 2012, 1377; Saliger, Matt/Renzikowski StGB, § 263 Rn. 249). Diese Auffassung findet bislang auch in der strafrechtlichen Würdigung durch die Gerichte Berücksichtigung. Eine formal unrichtige Abrechnung erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen des Betruges. Lediglich auf Ebene der Strafzumessung kann die medizinisch korrekt durchgeführte Behandlung des Patienten zugunsten des Täters berücksichtigt werden (Strafzumessungslösung, BGH NStZ 1995, 85 (86)).
Grundsätzlich hat die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung leistungsbezogene Vergütungs- und mithin Marktrelevanz, indem durch sie die fach- und qualitätsgerechte medizinische Behandlung sichergestellt werden soll. Steht zum Abrechnungszeitpunkt fest, dass die abzurechnende, nicht persönlich erbrachte Leistung medizinisch indiziert und lege artis ausgeführt worden ist, führt dies zum Erlöschen des Anspruches des Patienten gegen seine Krankenkasse. Die Kompensation für einen Schaden liegt in der Befreiung der Krankenkasse von einer Verbindlichkeit. In der Folge entfällt eine Betrugsstrafbarkeit (sog. Tatbestandslösung, Saliger, Matt/Renzikowski StGB, § 263 Rn. 250). Die Ansicht folgt dem Grundsatz, dass eine Gesamtsaldierung vorzunehmen ist und die Vermögenslage vor und nach der Tat zu vergleichen sind, wobei es im konkreten Fall auf die Besonderheit des Dreiecksbetruges ankommt.
In solchen Fällen, in denen dennoch eine medizinisch indizierte und lege artis ausgeführte tatsächliche Leistung abgerechnet wird, ist die Benennung des konkreten Vermögensschadens problematisch, womit sich ein erfolgsversprechender Verteidigungsansatz auftut. Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen machen es in der Praxis erforderlich, dass Strafverteidiger mit besonderer Sorgfalt sowohl in tatsächlichen als auch rechtlichen Fragen vorgehen.
3. Weitere Erscheinungsformen
Die kontrovers diskutierten Fallgruppen des Abrechnungsbetruges werden regelmäßig durch die Rechtsprechung erweitert. Im Folgenden werden nur die geläufigsten Formen dargestellt:
- Überdiagnostizierung und Übertherapie: Ärzte stellen absichtlich falsche Diagnosen oder führen unnötige Behandlungen durch, um höhere Honorare zu erzielen. Wie beispielsweise die Durchführung von unnötigen Laboruntersuchungen. In diesen Fällen wird es auch häufig schwierig in der Praxis einen Schädigungsvorsatz festzustellen. Auch die medizinische Einordnung von Krankheiten ist eine bloße Meinungskundgabe und unterliegt grundsätzlich der subjektiven Wertung des behandelnden Arztes.
- Falsche Angaben bei der Leistungsziffer: Dies bezieht sich auf die Verwendung falscher oder unzutreffender Leistungsziffern im Rahmen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) oder der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), um eine höhere Vergütung zu erzielen. Zu beachten gilt in solchen Fällen, dass eine falsche Rechtsauffassung bei der Annahme der Gebührenziffer eine bloße Meinungskundgabe darstellt und nicht zu einer tatbestandlichen Täuschung führt. Erforderlich für eine Strafbarkeit ist eine bewusste falsche gebührenrechtliche Bewertung erbrachter Leistungen.
- Doppelabrechnung: Leistungen werden bei verschiedenen Kostenträgern oder mehrfach bei demselben Kostenträger abgerechnet.
- Nichtberücksichtigung von Rabatten, Boni oder sonstigen Vergünstigungen bei der Abrechnung von Kosten gegenüber der Krankenkasse/ dem Patienten
- Abrechnung von Leistungen in Scheingesellschaften
- Beschäftigung von sog. Strohärzten
Strafbarkeitsrisiken
Bei Vorliegen einer Betrugsstrafbarkeit drohen dem behandelnden Arzt gemäß § 263 Absatz 1 StGB eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Handelt es sich um ein gewerbsmäßiges Vorgehen – also, wenn der Täter durch wiederholte Taten eine fortlaufende Einnahmequelle von gewisser Dauer und Umfang schaffen will – kann die Strafe nach § 263 Absatz 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB auf sechs Monate bis zu zehn Jahre erhöht werden.
Neben einem Strafverfahren können auch berufliche Konsequenzen folgen, wie ein ein Zulassungsentziehungsverfahren oder der Widerruf der Approbation.
Zudem kann die Zulassung für bis zu zwei Jahre ruhen, was erhebliche existenzielle Auswirkungen haben kann. Auch privatrechtliche Forderungen von Krankenkassen und Patienten können den Beschuldigten belasten. Härteste Folge ist der Widerruf der Approbation.
Wir verteidigen bundesweit in berufsrechtlichen Verfahren und unterstützen unsere Mandanten in berufsrechtlichen Verfahren und kämpfen gegen den Widerruf der Approbation.
Fazit
Der ärztliche Abrechnungsbetrug rückte in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Ermittlungsbehörden. Durch KI-gestützte Software können Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen Auffälligkeiten deutlich effektiver prüfen und aufdecken.
Aufgrund der Komplexität und des Zusammenspiels zwischen Straf- und Sozialrecht ist es unerlässlich, dass sich eine spezialisierte Kanzlei mit den Vorwürfen auseinandersetzt. Wir verteidigen seit mehr als zehn Jahren schwerpunktmäßig Ärzte und Heilangehörige gegen den Vorwurf des Abrechnungsbetrugs. Uns sind sämtliche Konstellationen bekannt und wir wissen, an welchen Stellen sich erfolgreiche Verteidigungsansätze lohnen.
Als spezialisierte Kanzlei behalten wir auch die berufsrechtlichen Folgen (Widerruf der Approbation) im Blick und verhandeln bei Bedarf auch mit den Krankenkassen oder Kassenärztliche Vereinigungen Vereinbarungen, die sich im Falle eines Strafverfahrens sehr günstig auswirken können.
Sollte gegen Sie ein Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Abrechnungsbetrug anhängig sein, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.