Die Behandlung psychischer Erkrankungen hat in den letzten zehn Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Dabei geraten Ärzte, die die für alle Bevölkerungs- und Altersschichten wichtige psychosomatische Grundversorgung gewährleisten und maßgeblich zur Diagnoseerstellung beitragen, zunehmend in den Fokus von kassenärztlichen Vereinigungen und Strafverfolgungsbehörden – insbesondere beim Vorwurf des Abrechnungsbetrugs.
Besonders im Blickpunkt steht hierbei die GOP 35100, die im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung eine Abrechnungsziffer für die „differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände“ vorsieht. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zu den Anforderungen der GOP 35100 und wird das Strafbarkeitsrisiko des Abrechnungsbetrugs in den Fällen unvollständiger oder mangelnder Dokumentation näher beleuchten.
Leistungsinhalte der psychosomatische Grundversorgung GOP 35100
Die GOP 35100 umfasst die „Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände“ – mit den obligaten Leitungsinhalten:
- Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände,
- Schriftliche Dokumentation bzw. Vermerk der ätiologischen Zusammenhänge,
- Dauer: mindestens 15 Minuten
Eine gesonderte Berichtspflicht ist hier nicht vorgesehen. In besonderem Maße wird in der Praxis zunehmend der Leistungsbestandteil der „schriftlichen Dokumentation der ätiologischen Zusammenhänge“ herangezogen, um Wirtschaftlichkeits- und Plausibilitätsprüfungen durchzuführen und hierauf gestützte Honorarrückforderungen zu begründen.
Bei der Dokumentation der GOP 35100 sollten durch den praktizierenden Arzt bzw. die praktizierende Ärztin folgende Punkte aufgenommen werden:
- Mitteilung der Beschwerden des Patienten, eigene ergriffene Maßnahmen/Medikation
- Aufnahme des ICD-Codes (insbesondere F-Codes) oder Orientierung an § 27 der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Durchführung der Psychotherapie vom 1. November 2024
- Aufnahme des Bestehens oder Nichtbestehens eines Zusammenhangs zwischen psychischen und somatischen Beschwerden
- Maßnahmen des Arztes
- Länge des Gesprächs (Uhrzeiten)
Eine verkürzte Darstellung im Stichpunktstil reicht aus, da die Begrifflichkeit des Vermerks bzw. der Dokumentation ihrem Wortlaut nach keinen Fließtext erfordert. Das Sozialgericht in Marburg hat in ihrem Urteil vom 31. Januar 2024 (S 17 KA 319/21 und S 17 KA 320/21) zudem entschieden, dass auch funktionelle Störungen von Krankheitswert, die keiner F-Codierung unterliegen, nach GOP35100 abrechnungsfähig bleiben, wenn mit dieser Störung eine seelische Belastung einhergeht. Beispielhaft führt die Kammer hier Abrechnungsmöglichkeiten für Krebserkrankungen und Schmerzpatienten an.
Bedeutung der Dokumentationspflicht und strafrechtliche Risiken
Die Dokumentation ist dabei nicht nur den berufsrechtlichen Pflichten zuzuordnen, sondern dient auch als Beweismittel im Falle strafrechtlicher Ermittlungen wegen Abrechnungsbetrug. Eine nicht dokumentierte Leistung gilt nach der sog. streng formalen Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts als nicht erbracht. Die Folge ist, dass die obligaten Leistungsbestandteile der GOP 35100 unerfüllt sind und ein Rückzahlungsanspruch begründet wird.
Diese strenge Rechtsprechungspraxis führt in strafrechtlicher Perspektive dazu, dass die objektiven Voraussetzungen des Betrugstatbestands (§ 263 StGB) selbst dann erfüllt sind, wenn zwar die Dokumentation mangelhaft ist, der praktizierende Arzt oder die praktizierende Ärztin aber die weiteren (und damit grundlegenden) Leistungsinhalte der GOP 35100 erbracht hat.
Eine mangelnde oder nicht erbrachte Dokumentation kann deshalb gravierende Folgen für den praktizierenden Arzt, seine Praxis und die berufliche, aber auch existenzielle Zukunft auslösen:
- Honorarrückforderung durch die kassenärztliche Vereinigung
- Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft
- Durchsuchungen der Praxisräume
- Anklageerhebung mit dem Vorwurf des Abrechnungsbetrugs (§ 263 StGB)
- Berufsrechtliche Maßnahmen durch die Ärztekammer (Worst Case: Verlust der Approbation!)
Prävention und Verteidigung
Praktizierende Ärztinnen und Ärzte sollten in besonderer Weise auf die Einhaltung der Dokumentationspflichten achten. In diesem Kontext ist die Teilnahme an einem sog. Patenprogramm zur Überprüfung der ersten Honorarforderungen, gerade für Berufsanfänger, zu empfehlen.
Sowohl die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) aber auch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe bieten solche Programme an (KVWL). Der dem Praktiker zugewiesene Pate geht im Rahmen des Patenprogramms auf sämtliche Auffälligkeiten in den Honorarforderungen ein und erklärt, wie der praktizierende Arzt seine Abrechnungen aufzustellen hat.
Die Kanzlei Burgert Krötz verfügt über einen breiten Erfahrungsschatz in der Beratung praktizierender Ärztinnen und Ärzte. Die Beratungspraxis der Kanzlei beschränkt sich dabei nicht auf das strafrechtliche Verfahren, sondern vielmehr sind wir auch im Umgang mit den kassenärztlichen Vereinigungen besonders erfahren. Kontaktieren Sie uns gerne!