Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) sind medizinische Zusatzleistungen, die von gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen und daher privat im Patienten-Arzt-Verhältnis abgerechnet werden. Darunter zählen medizinisch-kosmetische Eingriffe, alternative Heilverfahren oder sowie Vorsorgeuntersuchungen, die nicht von der Regelversorgung umfasst sind. Laut dem IGeL-Monitor Report 2024 (Versichertenbefragung 2024) im Auftrag des Medizinischen Dienstes Bund gaben gesetzlich Versicherte insgesamt mindestens 2,4 Milliarden Euro für IGeL aus.
Bezüglich der Abrechnung individueller Gesundheitsleistungen in der Praxis äußerte sich die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kritisch: viele Patienten würden Geld für Leistungen ausgeben, obwohl der medizinische Nutzen nicht ausreichend belegt, die Leistung der Regelversorgung zugeordnet wird oder die Anwendung teils sogar schädlich sei. Damit würden Ärzte die ihnen auferlegten Informations- und Aufklärungspflichten in der Praxis verletzen.
Äußerst kritisch beäugt wird die in der Praxis häufig stattfindende Umwandlung von Kassenleistungen in IGeL. Verbraucher hätten der vzbv berichtet, im Vorfeld nicht über die privat zu tragenden Kosten informiert worden zu seien oder Behandlungen selbst gezahlt zu haben (z.B. Hautkrebsscreening; Ultraschalluntersuchung), obwohl ein begründeter Verdacht für die kassenärztliche Abrechnung vorlag.
Die vorstehenden Abrechnungsbeispiele bergen bei Täuschung des Patienten ein Strafbarkeitsrisiko wegen Betrugs gem. § 263 StGB. Dadurch geraten abrechnende Ärzte in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden.
Was ist bei der Abrechnung von IGeL zu beachten?
Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet über den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung für ambulante und stationäre Versorgung (§§ 92, 135 Abs. 1, 137c Abs. 1 SGB V). Leistungen, für die eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht besteht, können nur im Rahmen einer Privatbehandlung erbracht werden, über die mit dem Versicherten vor Beginn der Behandlung ein schriftlicher Behandlungsvertrag (§ 630a BGB) abgeschlossen werden muss (§ 3 Abs. 1 BMV-Ä).
Der Arzt, der gegenüber dem GKV-Versicherten sogenannte IGeL-Leistungen erbringt, erwirbt gegenüber diesem einen Vergütungsanspruch, der nach Maßgabe der GOÄ abzurechnen ist (§ 1 S. 1 GOÄ i. V. m. § 87 Sozialgesetzbuch V). Dies bedeutet, dass Kassenpatienten bei der Abrechnung von IGeL als Privatpatienten anzusehen sind.
Der behandelnde Arzt hat demnach Folgendes zu beachten:
- Der Versicherte ist vor Behandlungsbeginn darauf hinzuweisen, dass die IGeL-Leistung nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung fällt und er damit die Behandlungskosten selbst zu tragen hat.
- Der Versicherte muss vor Behandlungsbeginn die Bereitschaft erklären, auf eigene Kosten behandelt zu werden und es ist vor Behandlungsbeginn ein schriftlicher Behandlungsvertrag zu schließen (§ 3 Abs. 1 iVm § 18 Abs. 8 Nr. 3 BMV-Ä).
- Wenn Ärzte Leistungen aus dem IGeL-Katalog erbringen, dürfen sie nur innerhalb ihres Fachgebietes tätig werden.
- Der Behandlungsvertrag (in Kopie) sowie die Rechnung sind dem Patienten auszuhändigen (§ 630e Abs. 2 BGB).
Nachdem Leistungen, die im IGeL-Katalog enthalten sind, keine vertragsärztlichen Leistungen sind, müssen sie zwingend nach der GOÄ abgerechnet werden, ggf. hat eine Analogabrechnung nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 GOÄ zu erfolgen. Dabei ist eine Überschreitung der Schwellenwerte der GOÄ zu begründen. Hierbei sind die Bemessungskriterien gem. § 5 Abs. 2 GOÄ zu beachten.
Die Rechnung eines Arztes muss den förmlichen Anforderungen des § 12 GOÄ entsprechen. Insbesondere müssen gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 2 GOÄ bei den Gebühren nach § 4 Abs. 1 GOÄ folgende Angaben enthalten sein:
- Gebührenverzeichnisnummer
- Leistungsbezeichnung mit ggf. vorgesehener Mindestdauer
- Betrag der Gebühr
- Steigerungssatz
Die Vereinbarung und Abrechnung von Pauschalen ist auch im Bereich der individuellen Gesundheitsleistungen nicht zulässig (§ 12 GOÄ).
Der Arzt bringt durch die Rechnung, die er dem Patienten stellt, zum Ausdruck, dass die abgerechneten ärztlichen Leistungen tatsächlich erbracht worden und in dieser Höhe nach der GOÄ abrechnungsfähig seien. Die (teilweise) Nichterfüllung führt nicht nur zu einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch, sondern kann ebenfalls straf- und berufsrechtliche Konsequenzen herbeiführen.
Welche Fallkonstellationen sind in der Praxis relevant?
Die folgenden Beispiele geben einen Überblick zu Sachverhaltskonstellationen, die in der Praxis im Zusammenhang mit IGeL häufig auffällig sind und eine strafrechtliche Verfolgung auslösen:
1. Bewusste Fehldiagnosen und Inanspruchnahme von falschem Sachverstand
Im Kontext der IGeL-Leistungen kann eine strafrechtlich relevante Täuschung vorliegen, wenn Ärzte Patienten gezielt in die Irre führen, um private Zusatzleistungen abzurechnen. Dies kann in verschiedenen Formen geschehen:
- Falsche Diagnose: Ein Arzt stellt bewusst eine nicht vorhandene Krankheit fest, um eine kostenpflichtige IGeL-Behandlung zu rechtfertigen.
- Unwirksame Behandlung: Patienten werden zur Inanspruchnahme einer medizinisch nicht belegten oder für ihre Erkrankung ungeeigneten IGeL-Leistung überredet, indem ihre Wirksamkeit fälschlich versprochen wird.
- Gefälschte oder irreführende Gutachten: Ein medizinisches Gutachten wird absichtlich auf unwahren Tatsachen aufgebaut, um den Patienten zu einer kostspieligen IGeL-Behandlung zu bewegen. Auch das Berufen auf ein solches Gutachten, das von einem Dritten erstellt wurde, kann eine Täuschung darstellen.
- Vortäuschung von Sachverstand: Ärzte geben vor, über besondere Expertise in bestimmten Behandlungen zu verfügen, um Patienten zur Inanspruchnahme von IGeL-Leistungen zu bewegen.
2. Falsche Darstellung der Kostenpflicht
Der Arzt behauptet, eine Leistung sei eine IGeL-Leistung, obwohl sie von der Krankenkasse übernommen wird (sog. Drängen in die Privatliquidation).
Beispiel: Ein Hautkrebsscreening wird als kostenpflichtig deklariert, obwohl es für bestimmte Altersgruppen von der Krankenkasse übernommen wird.
3. Erzwungene Kombination mit Kassenleistungen (sog. „IgeL-Fallen“)
Patienten werden nur dann behandelt, wenn sie eine kostenpflichtige Zusatzleistung in Anspruch nehmen.
Beispiel: Ein Gynäkologe führt eine normale Kassenleistung (Vorsorgeuntersuchung) nur durch, wenn die Patientin zusätzlich eine kostenpflichtige Ultraschalluntersuchung bucht.
4. Fehlende oder fehlerhafte Aufklärung über Kosten und Nutzen
Das Verschweigen, dass eine Leistung medizinisch umstritten ist oder keine gesicherte Wirkung hat.
5. Abrechnung ohne Einwilligung/Beauftragung
Der Patient erhält eine Rechnung für eine IGeL-Leistung, obwohl er sie nicht ausdrücklich beauftragt hat.
6. Pauschale Falschabrechnung von Leistungsziffern
Im Zusammenhang mit IGeL-Leistungen kann eine Täuschung durch den Arzt auch dann vorliegen, wenn er bei der Abrechnung nicht die konkret erbrachten Leistungen mit den entsprechenden Ziffern der Gebührenordnung angibt, sondern stattdessen pauschale oder überhöhte Beträge ansetzt (§ 12 GOÄ). Dies gilt insbesondere für die Abrechnung von Sachkosten und Untersuchungsmaterial,wenn die in Rechnung gestellten Kosten nicht den tatsächlich entstandenen Aufwendungen entsprechen. Insbesondere ist auch eine rechtskonforme Auf- oder Abrundung auf Grundlage der GOÄ einzuhalten.
7. Abweichende Vereinbarung von GOÄ-Regelsätzen
Im Kontext von IGeL-Leistungen taucht ebenfalls die Konstellation auf, dass ein Arzt die Einwilligung seines Patienten zur Abrechnung einer Leistung erschleicht, die nicht den Regelsätzen der GOÄentspricht. Dies geschieht insbesondere dann, wenn die betreffende Behandlungsleistung eigentlich in der GOÄ mit einem bestimmten Regelsatz festgelegt ist, der Arzt jedoch einen höheren Betrag verlangt, ohne den Patienten korrekt darüber aufzuklären und die Notwendigkeit der Steigerung zu begründen (vgl. § 12 Abs. 3 GOÄ „Überschreitet eine berechnete Gebühr das 2,3-fache des Gebührensatzes, ist dies auf die einzelne Leistung bezogen für den Zahlungspflichtigen verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen“).
Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen bei einer fehlerhaften Abrechnung von IGeL?
Da IGeL-Leistungen auf einem privatrechtlichen Vertrag zwischen Arzt und Patient basieren, sind Krankenkassen und Ärztekammern meist nicht befugt, bei fehlerhaften Abrechnungen unmittelbar einzugreifen. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs nach § 263 StGB kommt dabei aber im Arzt-Patienten-Verhältnis in Betracht, wenn ein Patient gezielt über wesentliche Umstände getäuscht wird. Sollte der Arzt hierbei vorsätzlich täuschen, um einen finanziellen Vorteil zu erlangen, könnte dies den Tatbestand des Betrugs, wegen der Berufsbezogenheit der Handlung sogar einen besonders schweren Fall des Betrugs gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 StGB, darstellen.
Fazit
Da IGeL-Leistungen auf einem privatrechtlichen Vertrag zwischen Arzt und Patient beruhen, bestehen zunächst Anknüpfungspunkte, um eine gütliche Streitbeilegung in zivilrechtlicher Hinsicht zu erzielen, bevor strafrechtliche Vorwürfe erhoben werden.
Aus strafrechtlicher Sicht steht insbesondere der Betrugstatbestand nach § 263 StGB im Fokus, wenn Ärzten vorgeworfen wird, durch fehlerhafte Aufklärung, irreführende Abrechnungen oder unrichtige Diagnosen eine Täuschungshandlung begangen zu haben. Im Zusammenhang mit IGeL und der strafrechtlichen Verfolgung möglicher Abrechnungsdelikte ergeben sich für die Strafverteidigung mehrere zentrale Anknüpfungspunkte.
Die Verteidigung muss oft darauf hinweisen, dass
- Keine vorsätzliche Täuschung vorliegt, sondern eine ärztliche Fehleinschätzung oder eine unklare Rechtslage zur Abrechnung geführt hat.
- Die Gebührenordnung für Ärzte Interpretationsspielräume bietet, insbesondere bei Steigerungssätzen oder Leistungsziffern, sodass eine Abrechnungsabweichung nicht automatisch zur Verwirklichung des Betrugs führt.
Zudem ist die Strafverfolgung in diesen Fällen oft auf die aktive Mitwirkung der Patienten angewiesen, die aber häufig erst im Nachhinein mit der Berechnung unzufrieden sind. Ein wesentlicher Verteidigungsansatz ist daher die Klärung der Frage, ob eine bewusste Täuschung und ein entsprechender Vorsatz des Arztes tatsächlich nachweisbar ist oder ob lediglich eine fehlerhafte, aber gutgläubige Abrechnung vorliegt.
Letztlich sind IGeL-Verfahren im Strafrecht oft von einer Gratwanderung zwischen Abrechnungsfehlern und damit rein zivilrechtlichen Streitigkeiten sowie bösgläubigen Abrechnung, und damit tatsächlichen Betrugshandlungen geprägt.
Unsere Kanzlei, die auf das Medizinstrafrecht spezialisiert ist, verfügt über umfassende Fachkenntnisse bei der Verteidigung von Ärzten bei Vorwürfen im Zusammenhang mit der Erbringung und Abrechnung von IGeL. Die Rechtsanwälte der Kanzlei Burgert Krötz PartGmbB stehen Ihnen mit kompetenter präventiver Beratung, aber im Ernstfall auch mit effektiver Strafverteidigung zur Seite.
In unserem Blog finden Sie weitere Beiträge, bspw. zum Abrechnungsbetrug bei Ärzten, Zahnärzten und Physiotherapeuten. Sollten darüber hinaus offene Fragen geblieben oder eine fachkundige Verteidigung gewünscht sein, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir vereinbaren auch gerne einen unkomplizierten Online-Besprechungstermin!